Präventive Arbeitsgestaltung meint die Berücksichtigung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse, Konzepte und Regeln bereits im Stadium des Entwurfs von Arbeitssystemen und Arbeitsabläufen unter Beteiligung der Betroffenen. Das bedeutet eine gedankliche oder experimentelle Vorwegnahme möglicher Schädigungen der Gesundheit oder Beeinträchtigungen des Wohlbefindens bei der Gestaltung von Arbeit. Die arbeitsrechtlichen Grundlagen dazu finden sich sowohl im Betriebsverfassungsgesetz (§§ 90/91) als auch im Arbeitsschutzgesetz (§ 4), die beide insoweit ein „vorausschauendes Moment“ haben, als sie die Berücksichtigung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse schon bei der Planung und Gestaltung vorschreiben.

Die weitest gehenden Erfahrungen dazu liegen bisher aus dem Produktionsbereich vor. Dass erhebliche Interpretationsspielräume gegeben sind, was die aktive Beteiligung von Betriebsräten und Beschäftigten erforderlich macht, kann am Beispiel der Einführung von Ganzheitlichen Produktionssystemen (GPS) im Bereich der Automobil- und Elektroindustrie gezeigt werden. Die Umsetzung von GPS führt zur Zunahme einer sog. „universellen Fachlichkeit“ (Prozesskompetenz, Gestaltungskompetenz) in den Betrieben. Gleichzeitig lassen Routinisierung, (flexible) Standardisierung und Vereinfachung die Bedeutung berufsspezifischer Fachlichkeit abnehmen und können zum Verlust vielseitiger und umfassender Arbeitsinhalte und Tätigkeitsstrukturen führen. In Verbindung mit härteren Leistungskonditionen verschlechtern sich damit auch die Chancen für eine dynamische Persönlichkeitsentwicklung, ein kontinuierliches Learning-by-Doing.

Auch einfache Tätigkeiten in der industriellen Fertigung sind so mit erheblichen psychosozialen Belastungen verbunden, insbesondere dort, wo durch kürzer werdende Entwicklungsprozesse in schnell wechselnden Produktionskonzepten Change zum Dauerzustand wird. Monotonie durch kürzer werdende Taktungen bei starker Standardisierung lassen kaum Handlungsspielräume zu und verstärken mangels möglicher Belastungswechsel das Risiko der Überbeanspruchung, was sich negativ auf die allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit wie auch auf die Gesundheit auswirkt. Gleichzeitig wird von Beschäftigten erwartet, die eigenen Arbeitsprozesse permanent zu optimieren und innovativ zu sein.

Zur präventiven Arbeitsgestaltung ist die vorausschauende Gefährdungsbeurteilung ein geeignetes Instrument. Anhand der vorhandenen Mitbestimmungsrechte und ggf. über eine Betriebsvereinbarung kann durchgesetzt werden, dass Restrukturierungen bereits in ihrer Planungsphase einer Gefährdungsbeurteilung unterzogen werden. Sie umfasst neben der Bearbeitung von Einzelrisiken auch umfassende Gefährdungen durch die Veränderungsprozesse selbst. Alle mit der Restrukturierung assoziierten Gefährdungen (in Bezug auf erhaltene oder veränderte wie neu geschaffene Arbeitsplätze) müssen einbezogen werden, wie z.B. Arbeitsintensivierungen, verringerte Kontrolle über die Arbeitsbedingungen, Abnahme der Aufgabentransparenz.

Die Gefährdungsbeurteilung hat eine doppelte Funktion: Sie kann als defensiver Schutzschild eingesetzt werden, um Gefährdungen zu vermeiden, den Erhalt von Beschäftigungsfähigkeit zu sichern bzw. zumindest den Verlauf des Prozesses aufzuhalten. Sie kann aber ebenso den Akteuren als Prozesshilfe dienen, um eine interdisziplinäre kommunikative Präventionsstrategie zu entfalten. Letzteres wird zunehmend wichtig, da die neuen Organisations- und Steuerungsformen das Individuum „als Ganzes“ unter ihre Logik subsummieren, weshalb auch die traditionell getrennten Aufgabenzuschnitte der „klassischen“ Arbeits- und Gesundheitsschutzakteure obsolet werden.