Mit dem Begriff des Erfahrungswissens wird auf die Wichtigkeit der sinnlichen Erfahrung und des Gefühls für das praktische Handeln der Arbeitenden hingewiesen. Dieses Erfahrungswissen ist implizites Wissen und als solches nicht in derselben Form verfügbar, wie in Daten und Fakten explizierbares Wissen. Allerdings stellt gerade dieses implizite Erfahrungswissen die spezifische Kompetenz dar, die es z.B. einem Facharbeiter ermöglicht, seine Arbeit gut zu verrichten. Dieser Wissensbegriff steht daher in engem Zusammenhang mit dem subjektivierenden Arbeitshandeln.
Erfahrungswissen ist im Arbeitshandeln erworbenes, personengebundenes und kontextbezogenes Wissen. Es ist aber nicht einfach die jahrelange Akkumulation von Routinen und Informationen im Sinne eines „Lerntransfers“, in dem eine gelernte Problemlösung auf vergleichbare Situationen übertragen wird, sondern ein „Wissen durch ›Erfahrung-machen‹, zur Bewältigung von Arbeitssituationen, für die es noch keine Lösungen gab. Erfahrungswissen ist in dieser Hinsicht dem objektivierenden Expertenwissen entgegengesetzt und stellt eine eigene, autonome Quelle von Expertise dar, die sich in der Praxis der arbeitenden Menschen realisiert und erhält. Es lässt sich daher auch als eine Expertise zur Selbstorganisation verstehen.
Der Geltungsanspruch der Rationalisierung hat in der Neuzeit durch die Aufklärung und Verwissenschaftlichung vieler Arbeitsbereiche zu einem Zurückdrängen der Bedeutung von sinnlich-körperlicher Wahrnehmung und subjektiver Empfindung geführt. Wurde in der Logik der wissenschaftlichen Betriebsführung Taylors das Erfahrungswissen der Beschäftigten eher als eine zu eliminierende Störgröße angesehen, so haben die modernen, auf Subjektivierung setzenden Produktionsregimes es (wieder) verstärkt aufgenommen. Gerade die zunehmende Flexibilisierung der Produktion erfordert von den Beschäftigten die Fähigkeit, fach- und prozessübergreifende Zusammenhänge zu verstehen. Dazu brauchen sie auch Erfahrungswissen, denn in High-Tech-Produktionsprozessen wirkt eine so große Menge von Einflussfaktoren zusammen, dass deren Wechselwirkungen nicht vollständig vorherbestimmt werden können. Die Beurteilung von technischen Abläufen, die schnelle Reaktion auf Störungen oder die erfolgreiche intuitive Lösungssuche sind Erscheinungsformen des Erfahrungswissens.
Erfahrungswissen ist aber auch für die unspektakulären Interventionen während des „Normalbetriebs“ wichtig, um Störungen vorzubeugen. Damit ist Erfahrungswissen quasi die unsichtbare Grundlage des „störungsfreien Betriebes“, auch in Formen moderner Dienstleistungs- oder Wissensarbeit. Hier erhöhen dezentrale Organisationsformen oder Arbeiten in Netzwerken den Anteil des „kollegialen“ Lernens und sind daher auf Erfahrungswissen angewiesen. Damit verlagert sich innerhalb des Erfahrungswissens der Fokus vom technisch-funktionalen zunehmend zum organisationalem Erfahrungswissen.
Entsprechend müssen neue Formen des internen und externen Wissensaustausches gefunden werden, die das Wissen der Beschäftigten als Erfahrungswissen in Erneuerungsprozesse einbinden. Konzepte zum „Erfahrungslernen“ müssen ergänzt werden durch Maßnahmen zur kulturellen Entwicklung innerhalb der Unternehmen. Denn nur bei einer Verzahnung von persönlicher Qualifizierung und organisatorischer Kompetenz lassen sich die veränderten Anforderungen der Arbeit bewältigen. Erhaltung, Pflege und Weitergabe von Erfahrungswissen innerhalb der Organisation eines Betriebes ist somit auch Bestandteil gesundheitlicher Prävention psychosozialer Erkrankungen.