– eine empirische Bestandsaufnahme der aktuellen Anwendungspraxis der §§ 90/91 BetrVG in Restrukturierungsprozessen

Projektziel:

Die §§ 90/91 BetrVG sichern dem Betriebsrat umfassende Beratungs- und Mitbestimmungsrechte im Hinblick auf die „menschengerechte Gestaltung der Arbeit“ und den präventiven Gesundheitsschutz zu. Untersucht wurde die Anwendungspraxis dieser Regelungen in unterschiedlichen thematischen Feldern (z. B. Restrukturierung) und unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen (z. B. Demografie-Tarifverträge).

1. Kontext

Die Veränderungsgeschwindigkeiten des technisch-organisatorischen und betrieblichen Wandels haben im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen. Damit erhöhen sich für die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen der Anpassungsdruck und die Anforderungen zur Bewältigung dieses vielschichtigen Restrukturierungsprozesses. Als Manko in der bisherigen Debatte über angemessene Beteiligungsformen im betrieblichen Wandel bzw. bei Umstrukturierungen erwiesen sich die fehlenden empirischen Erkenntnisse über die aktuelle Anwendung der §§ 90/91 BetrVG und die Tiefe der Planungsbeteiligung. Die erfolgten Umstrukturierungen hätten eine breite Anwendung der §§ 90/91 BetrVG erwarten lassen und eine entsprechende Qualifizierung der Interessenvertretungen. Dies ist aber nicht der Fall. In Bestätigung unserer Ausgangshypothese konnte gezeigt werden, dass eine Ursache in der überholten Art der Konzeptionierung und Anwendungspraxis der im Gesetz geforderten „gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen“ zu finden ist.

2. Fragestellung

Ziel des Projekts war, den gegenwärtigen Stellenwert der §§ 90/91 BetrVG empirisch herauszuarbeiten, insbesondere im Zusammenhang mit den aktuellen betrieblichen Restrukturierungen und Innovationsvorhaben, sowie in Demografieverträgen und Betriebsvereinbarungen. Zu beachten ist dabei auch ihre mögliche Brückenfunktion zwischen § 87 BetrVG (Mitbestimmung bei sozialen Angelegenheiten) und § 92a (Beschäftigungssicherung) sowie § 111 (Betriebsänderungen), aber auch ihre Bedeutung bei den vorausschauenden Maßnahmen zur Bewältigung des demographischen Wandels. Dazu wurden die hemmenden und fördernden Bedingungen für eine Anwendung der §§ 90/91 BetrVG und der darin vorgesehenen Kooperation mit den Arbeitswissenschaften empirisch aufgeklärt, um erforderliche Unterstützungsleistungen oder Durchsetzungshilfen passgenau entwickeln zu helfen, und zwar sowohl im Rahmen übernationaler Konzernstrukturen als auch für nationale mitbestimmte Unternehmen und für KMU.

3. Untersuchungsmethoden

Es wurden quantitative und qualitative Methoden miteinander kombiniert, um unterschiedliche Perspektiven zu verbinden und möglichst unterschiedliche Aspekte des Untersuchungsgegenstandes zu thematisieren. Eine Literatur- und Zeitschriftenanalyse bilanzierte den Stand wissenschaftlicher Aufarbeitungen, die durch eine Sekundärauswertung schriftlicher standardisierter Erhebungen zum Betriebsratshandeln vertieft wurden. Das empirische Kernstück des Vorhabens bildeten zehn Fallstudien. Sie waren die methodische Herangehensweise der Wahl, da sie einen ganzheitlichen und komplexen Zugriff auf die betrieblichen Prozesse und Problemlagen in Restrukturierungssituationen erlauben. Qualitative Interviews wurden bei den betrieblichen Fachkräften sowie bei der Interessenvertretung aus den beteiligten Betrieben durchgeführt. Weitere Expertengespräche ergänzten diesen Teil.

4. Darstellung der Ergebnisse

In den Fallstudien werden die Paragrafen des BetrVG selten von den Betriebsräten angewendet. Es überwiegt die Ansicht, dass die in den Paragrafen 90/91 BetrVG angesprochenen Tatbestände (v.a. menschengerechte Arbeit, Belastungsabbau) die Basis allen Handelns der Betriebsräte ist. Das BetrVG wird oft als Drohinstrument eingesetzt, wenn „Holland in Not“ ist. Zur Einigungsstelle ist es in Fällen gekommen, wo es um Fragen der Boni für Führungskräfte, Arbeitszeit (v.a. Schichtplan) und Gesundheitsschutz (Einführung einer Gefährdungsbeurteilung) ging.

Die Gewerkschaften sollten stärker prozessorientierte Beteiligungsverfahren propagieren, um Prävention und Arbeitsgestaltung besser zu verankern. Es wird nicht empfohlen, direkt eine Reform des §§ 90/91 BetrVG anzustreben, sondern zunächst stärker die positiven Fälle aufzuarbeiten und die Betriebsräte in der Kooperation mit der Wissenschaft zu ermutigen, beteiligungsorientierte Verfahren abzurufen. Eine besondere Nuance der beiden Paragrafen, die erhalten bleiben sollte, war die Idee einer korrektiven Mitbestimmung, d.h. sie beruhen auf einem umfassenden Vetorecht der Betriebsräte unter Zuhilfenahme der Arbeitswissenschaften.

Veröffentlichungen:

Katenkamp, Olaf, Uwe Dechmann, Kerstin Guhlemann, Jens Maylandt, Christina Meyn, Helmut Martens, Arno Georg, Gerd Peter (2018): Betriebsratshandeln zwischen Prävention und Innovation. Eine empirische Bestandsaufnahme der aktuellen Anwendungspraxis der §§ 90/91 in Restrukturierungsprozessen, Study 379, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, 320 Seiten.