Arno Georg/Kerstin Guhlemann, DoFAPP:
Wirksamkeit von Arbeitsschutzstrukturen in der flexibilisierten Arbeitswelt – Kurzbericht zum Forschungsprojekt F2411 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
zur Langfassung

1. Hintergrund und Zielsetzung

Die aus der Digitalisierung erwachsenden neuen Belastungskonfigurationen stellen den Arbeitsschutz vor anspruchsvolle Aufgaben. Da dieser großenteils noch auf klar erfassbare, begehbare Arbeitsplätze und feste Belegschaften ausgerichtet ist, stellt sich die Frage, wie Arbeitsschutzakteure mit den neuen Herausforderungen flexibler Arbeitsstrukturen umgehen können und welche Hindernisse für die Gewährleistung sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen zu überwinden sind.

2. Rahmenbedingungen Arbeitsschutz

Da die Gesamtbelastungen der Beschäftigten in flexibilisierten Arbeitsbedingungen steigen, entsteht erheblicher Handlungsbedarf. Die größten Probleme werden dabei im Zusammenhang mit zunehmender Erreichbarkeit, Handlungsspielräumen, Mehrarbeit, Zeitdruck, Stress und Vereinbarkeitsproblemen genannt (WÖHRMANN u. a. 2016, BMAS 2016). Die Richtung und Intensität der Auswirkungen digitaler Transformationsprozesse auf die Arbeitssituation können aber grundsätzlich durch mitarbeitergerechte, präventive Arbeitsgestaltung beeinflusst werden (GUHLEMANN u. a. 2018).

Eine Befragung unter Sicherheitsfachkräften zu ihrer Einschätzung der (zukünftigen) Veränderungen von Arbeit, Sicherheit und Gesundheit sowie ihrer Rolle (Cernavin u. a. 2018) zeigte, dass die Bedeutung des Themas Digitalisierung sich der Einschätzung der Befragten zufolge in den nächsten fünf Jahren verdoppeln wird. Eine große Mehrheit der befragten SiFas (80 %) bejaht die Erforderlichkeit neuer Maßnahmen in ihrer Arbeit aufgrund der neuen Gefährdungen, aber nur ein Drittel sieht sich zur Erfassung dieser Gefährdungen auch als ausreichend kompetent an.

3. Methoden und Design

Für die Erschließung noch unbeschriebener sozialer Phänomene und Strukturen bietet sich insbesondere die Grounded Theory an (GLASER et al. 2010). Insgesamt wurden nach Pretest face-to-face 36 leitfadengestützte, problemzentrierte Interviews geführt. Innerhalb der Betriebe wurden Sicherheitsfachkräfte, Leitungen und Interessenvertretungen und ein kleiner Teil Beschäftigter befragt. Unter den überbetrieblichen Akteuren waren Sicherheitsfachkräfte, Betriebsärzt*innen sowie Interviewees aus intermediären Einrichtungen. Dem Forschungstheorem der Grounded Theory folgend wurden bei der Arbeit am Material die einzelnen Textsequenzen schrittweise analysiert, interpretiert und die sich daraus ergebenden „Codes“ zu Kategorien zusammengefasst. Diese wurden im Laufe der Analyse miteinander verglichen, erweitert und überarbeitet. Als übergreifende Kernkategorie wurde die „Unsichtbarkeit“ bzw. mangelnde Sichtbarkeit des Arbeitsschutzes herausgearbeitet. Sie beantwortet in mehrfacher Hinsicht die Frage nach der Wirksamkeit von Arbeitsschutzstrukturen in der digitalisierten, flexiblen Arbeitswelt.

4. Ergebnisse

Alte und neue Belastungen

Eine wesentliche Rolle bei der Betrachtung der Flexibilitätsformen im Hinblick auf ihre Wirkung auf die Beschäftigten kommt dem Ausmaß der Selbstbestimmung zu, die mit den Arbeitsformen einhergeht. Die Frage ist, in welchem Umfang die Beschäftigten ihre Arbeit selbst gestalten können hinsichtlich der Wahlmöglichkeiten von Ort und Zeit. Zugleich ist die Arbeitsmenge relevant, die die Grenzen zwischen tatsächlicher Selbstbestimmung und Selbstausbeutung bildet.

Eng mit der Gestaltung der flexiblen Arbeit zusammenhängend treten neue Belastungen auf, insbesondere im psychischen bzw. psychosozialen Bereich, wie z.B. durch erweiterte Erreichbarkeit, verändertes Kommunikationsverhalten oder zunehmende Erwartungen an Selbstorganisation. Gleichzeitig kann die Abnahme von Ressourcen (insbesondere sozialer Ressourcen) eine Folge sein, wenn sich die Interaktion im Arbeitsalltag reduziert. Obgleich durch Automatisierung körperlich belastende Tätigkeiten wegfallen bzw. sich neue Ressourcen ergeben, ist eine Verstärkung klassischer Belastungen dort zu verzeichnen, wo die Arbeit monotoner und bewegungsärmer wird. Belastungsveränderungen ergeben sich daher durch
a) neue Belastungen aus flexiblen Arbeitsformen (z.B. detachment),
b) bekannte Belastungen, die durch flexible Arbeit verstärkt werden (z.B. soziale Desynchronisation) und
c) Belastungen, die durch die flexiblen Arbeitsformen nicht mehr auf üblichem Weg zu bearbeiten sind (z.B. „Bildschirmarbeit“).
Flexible Arbeitsformen stellen den Arbeitsschutz damit bei der Prävention vor erhebliche Herausforderungen.

Maßnahmen im Arbeitsschutz

In Reaktion auf Belastungen werden durch betriebliche wie überbetriebliche Akteure eine Reihe von Routine-Maßnahme initiiert und umgesetzt. Zum Teil handelt es sich hierbei um Einzelmaßnahmen wie Begehungen, Unterweisungen oder ergonomische Verbesserungen, gelegentlich – v.a. in größeren Betrieben – sind diese in Gesundheitsmanagement-Konzepte eingebunden. Der Fokus liegt vielfach auf der Prävention einfach messbarer Gefährdungen; Gefährdungen flexibler Arbeit werden oft nachrangig behandelt oder als wenig relevant eingeschätzt. Das mag damit zusammenhängen, dass Gefährdungen durch flexible Arbeit oft
a) weniger sichtbar und damit weniger fassbar sind,
b) die zusätzlichen Belastungen durch zeitliche und örtliche Mobilität nicht ausreichend berücksichtigt werden und
c) im Bereich psychosozialer Belastungen zu verorten sind, wo Wissensdefizite Handlungsunsicherheiten befördern.

Im Bereich der Gefährdungsbeurteilung zeigt sich die Schwierigkeit der Anwendung von klassischen Arbeitsschutzprozeduren für flexibilisierte Arbeitsformen besonders deutlich. Zugleich sind die meisten Betriebe wenig interessiert bis ratlos, wie vorhandene Verfahren zur Beurteilung der Gefährdungen flexibler Arbeit anzuwenden seien.

Wo Arbeitssituationen nicht mit bisherigen Instrumenten bearbeitet werden können, wird eine Lösung in der verstärkten Erschließung neuer Technologien für den Arbeitsschutz gesehen, eine andere in steigenden Anforderungen an die Selbstverantwortung der Beschäftigten. Für beides braucht es Kompetenzaufbau, für die Beschäftigten zudem Zeitkontingente zur Selbstorganisation bzw. Arbeitsgestaltung.
Ein letztlich unlösbares Problem bleibt die (ergonomische) Gestaltbarkeit mobiler Arbeitssituationen (Zug, Hotel) in Verbindung mit einem Arbeitsdruck, der die Beschäftigten zur Ausnutzung aller sich bietender Zeitfenster drängt.

Kritik und Anforderungen an den Arbeitsschutz

Die Passungsprobleme und Umsetzungsschwierigkeiten führen zu Kritik am Arbeitsschutz bzw. zu offenen Wünschen. Diese betreffen die Ausrichtung, die Inhalte und die Durchsetzung von Arbeitsschutz.

Die de facto-Ausrichtung der Arbeitsschutzstrukturen auf große Betriebe erschwert Kleinunternehmen immer noch den Zugang, teilweise erheblich. Vorschriften und Strukturen werden als zu restriktiv, zu technikfokussiert, zu generalisierend oder zu bürokratisch angesehen. Ihre Eignung für die Bearbeitung psychischer Belastungen, die in flexiblen Arbeitsformen den größten Stellenwert einnehmen, wird großflächig in Frage gestellt. Qualifikationsbedarf der Arbeitsschützer wird vielfach von den Akteuren selbst für die Gestaltung flexibler Arbeit angemahnt.

Eine Anpassung der Inhalte der Arbeitsschutz-Vorschriften wird an den Stellen gefordert, an denen Regelungsbereiche sich durch die Flexibilisierung stark verändert haben. So fehlen z.B. Leitlinien zur ergonomischen Gestaltung mobiler Endgeräte und für mobile Arbeitssituationen; das Arbeitszeitgesetz wird teilweise als überarbeitungsbedürftig angesehen. Darüber hinaus wird eine Handhabe zum Schutz der wachsenden Anzahl atypisch Beschäftigter erwartet. Kritik wird an der ‚Überregulierung‘ geübt, die besonders in leicht messbaren Bereichen (z.B. Gerätesicherheit, Stolperprävention) verortet wird. Eine Ausrichtung der Regeln auf die „tatsächlichen Bedingungen“ ist die Forderung, als symptomatisch gelten hier bspw. die Regelungen zur Telearbeit. Neben den Arbeitgebern werden Aufsichtsbehörden bzw. der Gesetzgeber in der Pflicht gesehen, durch Sanktionen Arbeitgeber von der Notwendigkeit der Maßnahmen im Arbeitsschutz zu „überzeugen“.

6. Kernkategorie und zentrale Phänomene

Aus den Interviewaussagen wurden Phänomene herausgearbeitet, die Problembereiche mangelnder Passung zwischen Arbeitsschutzsystem und Arbeitswelt bezeichnen. Als übergreifende Kategorie hat sich das Phänomen der „Unsichtbarkeit“ herauskristallisiert: Unsichtbarkeit beschreibt den multiperspektivischen Zustand der Entstehung von blinden Flecken im Zuge der Flexibilisierung bzw. das „Verschwinden“ der flexiblen Arbeitsplätze – und damit auch der Beschäftigten – aus dem Sichtfeld der Arbeitsschutzakteure.
Gleichzeitig werden die Arbeitsschutzakteure als weniger hilfreich wahrgenommen und geraten zusammen mit den nicht mehr als passend empfundenen Arbeitsschutzvorschriften aus der Perspektive/dem Interesse von Betrieben und Beschäftigten. Da die Entwicklungen in der Arbeitswelt in einer anderen Dynamik als die der Arbeitsschutzstrukturen verlaufen, entfernen sich beide Bereiche zunehmend voneinander.

Ursächliche Bedingungen

Arbeitsschutz betrieblich zu verankern ist effizient in einem Zusammenspiel zwischen den überbetrieblichen Einrichtungen und der betrieblichen Seite des Arbeitsschutzes möglich. Dazu gehört von betrieblicher Seite ein generelles Bewusstsein für die Thematik Arbeitsschutz, die Kenntnis der wesentlichen Gesetze und schließlich der Wille zur Umsetzung, wovon nicht generell auszugehen ist. Der überbetriebliche Arbeitsschutz als Informations-, Beratungs- und Prüfungsinstanz steht vor der (z.T. ungelösten) Aufgabe, zu den Betrieben durchzudringen und die Umsetzung von Arbeitsschutzorganisation und -maßnahmen zu fördern und zu überprüfen.
Sowohl der auf feste Arbeitsplätze ausgerichtete Arbeitsschutz als auch, wo gewünscht, eine Kultur der betrieblichen Achtsamkeit verlieren ihre Voraussetzung, wenn Beschäftigte nicht mehr „erlebt“ und Arbeitsplätze nicht mehr begangen werden können. In flexiblen Strukturen sind auch die Belastungen und Gesundheitsprobleme der Beschäftigten weniger sichtbar. Je flexibler die Arbeit, desto größer die Zugriffsprobleme des Arbeitsschutzsystems.

Intervenierende Bedingungen

Eine stärkere Anpassung der Arbeitsschutz-Leitbilder an salutogene Konzepte und einen subjektorientierten Arbeitsschutz sowie interdisziplinäre Kooperation unter Einbezug der Beschäftigten könnte die „Unsichtbarkeit“ intervenierend abmildern. Doch sind Kooperationen im praktischen Arbeitsschutz weder die Regel, noch verlaufen sie immer produktiv aufgrund disziplinär unterschiedlicher Prioritätensetzungen und nicht gegenseitig vermittelter Begründungen des eigenen Handelns, was die Tendenz zur Unsichtbarkeit eher noch verstärkt.
Einem Bekenntnis der Arbeitsschützer zur ganzheitlichen betrieblichen Prävention folgt oft ein aus der Vor-ASiG-Zeit fundiertes ‚business as usual‘. Der Arbeitsschutz ist nach wie vor auf klar erfassbare, begehbare Arbeitsplätze, einfach messbare Gefährdungen und feste Belegschaften ausgerichtet.

Handlungs-/ Interaktionsstrategien

Statt handlungsstrategisch Kooperation und Partizipation zu verfolgen, findet vielfach eine Verantwortungsverlagerung statt, in der die Arbeitsschutzakteure in einer Kette des Aufeinanderzeigens vor den Problemen die „Augen verschließen“, bis schließlich die Beschäftigten als letzte Zuständige für ihren eigenen Schutz übrigbleiben. Diese Handlungsunsicherheiten der Arbeitsschutz-Akteure wirken vielfach aktivitätshemmend.
Durch die gewachsenen Gestaltungsspielräume im Hinblick auf Arbeitsprozesse, -zeiten und -orte steigt für die Beschäftigten die Notwendigkeit, in der Dezentralität verantwortungsvoll und gesundheitsbewusst zu arbeiten. Sie haben keine Probleme in der Wahrnehmung ihrer Belastungen, wohl aber aufgrund betrieblicher Machtverhältnisse, indirekter Steuerung oder fehlender Kompetenzen selten auch die Handlungsmöglichkeiten, Belastungen zu vermeiden bzw. abzubauen. Betriebliche Bemühungen, die erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen zum Selbstmanagement bereitzustellen, sind nur sehr selten erkennbar.

Konsequenzen

Der Bezug auf großbetriebliche Logiken, Strukturen und Prozesse sowie die Technik- und Expertenorientierung sind immer noch wirkmächtig (als Elemente eines impliziten Arbeitsschutzleitbildes), während die Dynamik des digitalen Wandels Gestaltungskonzepte erfordert, die kaum noch über Normierungsverfahren erzielt werden können sowie Gestaltungsinstrumente, die eher im „arbeitsschutzfremden“ Feld der Betriebsverfassung bzw. der Tarifparteien oder der Gesundheitsförderung liegen. Gefährdungen durch flexible Arbeit dagegen werden von Arbeitsschutzakteuren oft unterschätzt, Beschäftigtenbeteiligung und primärpräventiv orientierte Handlungsweisen nicht hinreichend als Normalität arbeitsschutzbezogenen Handelns geteilt und reproduziert. Parallel dazu verliert der Arbeitsschutz auf seinem klassischen Terrain (z.B. Sicherheitstechnik) Funktionen an die unmittelbar mit technischer Entwicklung selbst befassten Experten (z.B. Hersteller, Normung). Gelingt dem Arbeitsschutz keine zukunftsfeste Ausrichtung, besteht die Gefahr, dass ihm der Zugang zu großen Teilen der Zielgruppe dauerhaft nicht gelingt, weil diese mit seinen Themen, Kommunikationswegen und -zuschnitten sowohl inhaltlich nicht erreicht als auch von Überprüfungen nicht erfasst werden.

7. Fazit und Ausblick

Das deutsche Arbeitsschutzsystem steckt gleichzeitig, trotz oder wegen seiner unstrittig großen historischen Erfolge, in einer tiefen Krise (bereits in den 80er Jahren wurde darauf hingewiesen). Das Bild der Stagnation in Bezug auf die Diffusion der Konzepte modernen Arbeitsschutzes und der Umsetzung geltenden Rechts aus der GDA-Evaluation wird durch unsere Befunde bestätigt. Das Arbeitsschutzsystem verliert Teile seiner Zielgruppe an die Flexibilisierung: Ortsflexibel Beschäftigte sind nicht mehr „sichtbar“, Outgesourcte keine Betriebsangehörigen mehr. Zugänge zu kleinen Unternehmen gelingen (traditionell) selten nachhaltig, junge Unternehmen (Start-ups) folgen ohnehin gänzlich anderen Leitbildern. Zwischen den von der Arbeitsschutz-Avantgarde bei Staat und Berufsgenossenschaften in hervorragenden „Leuchtturmprojekten“ großer Betriebe diskutierten Strategien und Organisationskonzepten zur Flexibilisierung und der Alltagspraxis der Prävention in „normalen“ Betrieben klafft eine bedenkliche Lücke. Symptomatisch für den Alltag ist eine grundsätzliche Unterschätzung der psychosozialen Belastungen von Bildschirmarbeit und Reduktion der Belastung auf die ergonomische Gestaltbarkeit von Endgeräten.
Versuche, flexible und mobile Arbeitsformen unter Zuhilfenahme der gängigen Arbeitsschutzroutinen zu gestalten, führen nicht immer zum Erfolg: Akteure und ihre Maßnahmen können sich so schlechter als Gestalter profilieren, verlieren ihrerseits an Sichtbarkeit und bleiben randständig hinsichtlich betrieblicher Organisationsentwicklungen. Ist der Arbeitsschutz schon kein innovativer Gestalter, werden nun auch seine Beiträge zu Problemlösungen weniger sichtbar.

Entsprechend der mit Flexibilisierung verbundenen Individualisierung der Arbeits- und Führungsformen, Anforderungen und Belastungen müssten, so eine verbreitete Einschätzung, auch Arbeitsschutzaktivitäten individueller ausgerichtet werden. Dieser Anforderung stehen Betriebe entgegen, in denen die Durchsetzung des Arbeitsschutzes nur auf Basis gesetzlicher Regelungen erreicht werden kann oder innerhalb der Mindestanforderungen schablonenhaft von Externen erbracht wird.

Das Aufsichtssystem von Staat und Berufsgenossenschaften ist auf die neue Etappe kapitalistischer Rationalisierung nicht in ausreichendem Maße vorbereitet. Ob eine ohnehin nur relativ selten stattfindende Systemkontrolle einschließlich „Compliance-Prüfung“ bzw. eine Besichtigung einzelner Arbeitsplätze im Unternehmen zukünftig ausreichen wird, um die Einhaltung eines zeitgemäßen Schutzniveaus zu gewährleisten, darf bezweifelt werden. Adäquate Vorgehensweisen erforderten zwingend eine angemessene Ausstattung mit Ressourcen und qualifiziertem Aufsichtspersonal, das dann aber auch verstärkt außerhalb der „Wohlfühlzonen“ agieren muss.

Da die indirekten Steuerungsformen das Individuum „als Ganzes“ unter ihre Logik subsummieren, werden auch die traditionell getrennten Aufgabenzuschnitte der „klassischen“ Arbeitsschutzakteure zunehmend obsolet. Eine neue Entwicklung von beteiligungsorientierten Instrumenten zur betrieblichen Gesundheitspolitik böte dem Arbeitsschutz die Chance, aus seiner bisherigen Nische herauszukommen und (gemeinsam mit Beschaffern, Fabrikplanern, Informatikern u.a.) als Akteur der Organisationsentwicklung sichtbar zu werden – vor allem aber mit den Beschäftigten als institutionalisierten kreativen Gestaltern von Arbeit.

Dass Selbstbestimmung in Arbeitssituationen auch Freiheit bedeutet, darf nicht dazu verleiten, Rückschritte im Arbeitsschutz – das Verlassen auf die Selbstschutzfähigkeiten und -mechanismen der Beschäftigten – als Rücksichtnahme auf Bevormundungsempfindlichkeiten schönzureden. Arbeitsschutz der Zukunft muss mehr auf die Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz setzen, darf sich aber gleichzeitig nicht vom Auftrag der Verhältnisgestaltung freigemacht sehen.